KDW Kapitel 1

Der Kodex der Welten

Buch I – Neubeginn

-Kapitel 1-

 

Vaas hob den Kopf und nahm seine Brille ab. Er rieb sich müde die Augen und gähnte ungeniert, während er das Manuskript, welches er gerade eben noch studiert hatte auf den Stapel zu den anderen legte. Die Übersetzung aus dem Vaerendi fiel ihm ohnehin schwer – Auch ohne lästige Unterbrechungen. In Zukunft würde er sein Arbeitszimmer abschließen, so dass Volund nicht einfach so hereinplatzen konnte.

Zunächst blickte er auf sein Werk: Er war fast fertig mit der Übersetzung des Artikels und die Seite des Buches, in dem er Alles niederschrieb bot unten noch ein wenig Platz. Vermutlich würde er diesen für einen Kommentar seinerseits reservieren. Er legte seine Brille vorsichtig – bedacht darauf keinesfalls die frische, schwarze Tinte auf den Buchseiten zu verwischen – auf dem aufgeschlagenen Folianten ab. Dann sah er auf und fuhr Volund gereizt an:

„Was wollt ihr jetzt schon wieder? Ich sagte doch, ich will bei meinen Studien auf KEINEN FALL gestört werden.“ Er blickte ihn mit funkelnden Augen an und musterte seinen Assistenten dann mit vorwurfsvollem Blick:

Für einen Gnom war Volund relativ großgewachsen, denn er war vermutlich nur etwa zwei Köpfe kleiner als Vaas. Sein schmales, spitz zulaufendes Kinn reichte nun jedoch kaum über den Rand des Schreibtisches hinaus und so musste Vaas selbst im Sitzen nach unten blicken, um seinem Assistenten in die Augen sehen zu können. Volund begann nun an seiner braunen Lederweste zu zupfen und unruhig auf der Stelle zu treten. Da er keine Anstalten machte, zu sprechen, ermutigte ihn Vaas mit etwas sanfterem Tonfall:

„Nun habt Ihr mich ja bereits unterbrochen, also raus damit. Was wollt ihr?“

Volund zuckte entschuldigend mit den Schultern und stammelte:

„Mein Herr, die Farm von Familie Haalson wird angegriffen!“ Vaas schnaubte verärgert. Seit er den Gnom vor einigen Monaten als seinen Assistenten und Botschafter eingestellt hatte, gab es ständig Ärger. Abgesehen von seinen zahlreichen Qualitäten, die ihm diesen Posten eingebracht hatten, war Volund schreckhaft und nicht besonders mutig – Doch diese Eigenschaften gehörten zu dessen Glück nicht zu den Voraussetzungen eines guten Assistenten. Was jedoch eindeutig dazugehörte, war, seinen Arbeitgeber nicht fortwährend mit Nichtigkeiten zu stören, denn dies war keine Angelegenheit die ihn etwas anging. Vaas rollte genervt mit den Augen.

Er war zwar gerade erst sechsundzwanzig Jahre alt, doch er hatte es bereits weit gebracht – und dies nicht zuletzt dank seiner intensiven Forschungen. Als einer der jüngsten seines Ordens hatte er die Prüfungen des sechsten Grads – Selbstverständlich mit der höchstmöglichen Punktzahl – gemeistert und war kurz darauf für die Verwaltung der südlichen Ländereien rund um Khaav eingesetzt worden – Eine in seinen Augen lästige Pflicht für einen Mann mit seinen Talenten, und absolut hinderlich für seine Studien! – aber was sollte man machen. Eine verwahrloste Stadt voller Gesindel musste unter Kontrolle gebracht und verwaltet werden. Außerdem – wer sonst sollte in der Lage sein, diese Aufgabe ausreichend zu erfüllen.

Nach einem prüfenden Blick auf die inzwischen getrocknete Tinte legte er seine Brille bei Seite und schloss seufzend den dicken mit Beschlägen besetzten Folianten, in dem er seine Studien zu ‚Kreaturen, Phänomenen und Magischem‘ seit nun fast schon zehn Jahren niederschrieb. Dann erwiderte er:

„Die Streitigkeiten der Farmer gehen mich Nichts an. Ich dachte, das hätten wir bereits neulich geklärt, Volund.“ Volund schüttelte nun heftig den Kopf und seinen grauen, krausen Locken tanzten hin und her. Dann erwiderte er:

„Nein, Herr. Der Angriff kam von Außerhalb.“ Vaas stutzte. Ein Angriff von Außerhalb? Dies war höchst ungewöhnlich. Noch dazu, da der Haalson-Farmkomplex fast gänzlich von hohen Steilklippen umgeben war. Der einzige Weg führte hinab in das Zentrum der Stadt.

„Wie ist das möglich?“ fragte er seinen Assistenten und runzelte die Stirn. Volund warf verzweifelt die Arme in die Höhe und antwortete:

„Uns ist nichts Genaues bekannt, Herr. Sie kamen aus der Luft und…“ Nun war Vaas‘ Interesse geweckt und er verschwendete keine Zeit, den unbedeutenden Gnom ausreden zu lassen.

Er schloss die Augen.

Das kleine, runde Arbeitszimmer verzerrte sich in Sekundenschnelle vor seinem inneren Auge und einzelne Winkel des Raumes vermischten sich wie ineinanderlaufende Farbklekse. Die letzten Worte aus Volunds Munde wurden hinfort getragen und verschwanden in der Bedeutungslosigkeit.

Stille.

Dann – leises Rauschen des Windes, immer lauter und lauter. Raschelnde Blätter, Knacken, Knirschen, Knistern – Feuer!

Die Geräusche näherten sich schlagartig und ein neues Bild begann sich hinter der schwarzen Leere seiner Pupillen zu formen: Ein matschiger Weg, ein Gebäude, Acker, Bäume.

Als er die Augen wieder öffnete, fand er sich zwischen zwei Feldern wieder. Direkt vor ihm lag die Haalson-Farm. Der dreistöckige Wohnkomplex war in zwei Hälften gespalten und brannte lichterloh. Holzbalken stürzten zu Boden und Funken stoben in alle Richtungen. Es war ein Wunder, dass das Gebäude noch stand, denn Vaas hatte den Eindruck, die beiden nun autonom stehenden Hälften müssten jeden Moment brechen und in sich zusammenfallen.

Aus der Luft! , schoss es ihm durch den Kopf und er blickte suchend gen Himmel. Zunächst konnte er nichts entdecken. Es war lediglich ein weiterer schöner Tag über Khaav. Die Sonne schien und der Himmel war klar. Ursprünglich hatte er einige Pijax erwartet, doch das Farmgebäude war vollends zerstört. Dies war keinesfalls das Werk der garstigen, fliegenden Raubtiere. Während er weiter den Himmel in allen Richtungen absuchte, erschütterte etwas den magischen Schild, den er bereits vorsorglich um sich gezogen hatte. Vaas ächzte vor Anstrengung, als Bruchteile der Erschütterung des gewaltigen Angriffs durch seinen Körper fuhren.

„WER WAGT ES???“ schrie er und drehte sich auf der Stelle, um die Gefahr auszumachen. Der Angriff  konnte auf keinen Fall von Oben gekommen sein, da war er sich absolut sicher. Eine Sekunde später hatte er die Quelle jedoch bereits ausgemacht, denn etwa zwanzig Schritt vor Ihm standen drei seltsame Gestalten, vollständig in Rüstungen gehüllt. Vaas hatte zwar schon viele Rüstungen gesehen, doch diese waren irgendwie seltsam: Sie schienen nicht aus Metall zu bestehen, sondern aus einer Art gräulichem Leder oder dickem Stoff. Die Rüstungen waren eng an den Körpern der Männer anliegend und Helme, die Vaas wiederum an Helme, die er kannte erinnerten, verhinderten, dass er auch nur einen Flecken Haut, geschweige denn das Gesicht seiner Angreifer sehen konnte.

In diesem Moment traf Ihn ein zweiter Angriff von unglaublicher Stärke, begleitet von einem grellen Blitz, der von der mittleren Gestalt ausging. Vaas hielt sich schützend den rechten Arm vor das Gesicht, als sein Schutzschild unter der starken Belastung bebte und zu zerspringen drohte. Scheinbar hatten diese Gestalten enorme magische Kräfte. Vaas schloss die Augen und teleportierte sich rasch einige Schritt zur Seite – Gerade rechtzeitig, denn wo er vor einer Sekunde noch gestanden hatte, zischten einige weitere Geschosse durch die Luft. Zufrieden flüsterte Vaas:

“Ich bin dran…”

Er konzentrierte sich auf die Struktur der magischen Fäden und fügte sie, wie er es unzählige Male im Keller der Feste geprobt hatte blitzschnell zu einer komplexen Helix zusammen. Gleichzeitig verschränkte er in einer flüssigen Bewegung die Arme und streckte sie dann mit einem raschen Stoß hoch in die Luft. Genau in diesem Moment löste er seine Konzentration, das Gebilde zerplatzte vor seinem inneren Auge und setzte seine gesamte Energie in einem Schub frei.

Der Zauber war ihm mit Bravour gelungen und eine gewaltige Flammensäule schoss, seine drei Angreifer zur Gänze verschlingend, tosend etwa zehn Schritt in die Höhe. Als das magische Feuer nach einigen Sekunden erlosch, lagen die drei Gestalten regungslos auf dem matschigen Feldweg. Ihre Rüstungen knackten und knirschten, als sich nun orangeglühendes Metall unter der gewaltigen Hitze ausdehnte. Anscheinend hatte er sich geirrt – Aber er hatte gesiegt.

Ein grollender, langanhaltender Ton, unter dem der Boden zu Vaas’ Füßen erzitterte, lies ihn aufschrecken. Er drehte sich auf der Stelle herum und sah, wie sich ihm ein gewaltiges, fliegendes Objekt näherte. Er hatte noch nie etwas derart Seltsames gesehen. Es bestand vollständig aus Metall und sah fast wie ein kleines Schiff aus – Nur eben mit breiten Flügeln zu beiden Seiten. Die Schwingen bewegten sich jedoch nicht wie bei einem Vogel, sondern blieben starr, während das Objekt immer näher auf ihn zu kam. ‚Also hatte Volund doch Recht.‘ schoss es Vaas durch den Kopf. Rasch wandte er sich der neuen Bedrohung zu. Er wob einen weiteren, dieses Mal komplexeren Zauber und eine Handbewegung später explodierte das Objekt mitten in der Luft.

Vaas’ Energie war nun fast erschöpft und Schweiß tropfte von seiner Brille, die im Eifer des Gefechts vollkommen beschlagen war. Er schnappte nach Luft, wischte sie rasch mit dem Zipfel seines Mantels ab und setzte sie wieder auf. Für einen Moment kippte die Welt vor seinen Augen auf den Kopf und der plötzliche Schwindel drohte ihn von den Füßen zu reißen. Er taumelte einen Moment lang, fand dann aber sein Gleichgewicht wieder. Froh, in diesem Moment der Schwäche von niemandem beobachtet worden zu sein, drehte er sich einmal erleichtert auf der Stelle. Dann schnippte er mit den Fingern und eine rotglühende, faustgroße Kugel erschien direkt neben seiner Hand mitten in der Luft. Als er die Handfläche ruckartig öffnete, erweiterte die Kugel sich zu einer tellergroßen Scheibe. Im Inneren des scheinbar brennenden Ovals konnte man eine steinerne Wendeltreppe und eine kleine Gestalt erkennen, die, eine Fackel in der Hand, die Treppe nach unten stieg. Die Scheibe wurde immer größer und größer und die kleine Gestalt entpuppte sich als sein Gehilfe Volund, der plötzlich wie von Zauberhand durch das magische Portal gezogen wurde.

„Was? Wo?” Stammelte der Gnom und lies vor Schreck die Fackel fallen. Sie landete im Matsch und erlosch zischend, während das Portal sich lautlos hinter Volund schloss. Schließlich erblickte er Vaas und verschränkte verärgert die Arme:

”Ihr habt versprochen, dass Ihr das lassen würdet! Ich erschrecke mich jedes Mal zu Tode dabei!” Er machte ein beleidigtes Gesicht und blickte seinen Vorgesetzten trotzig an, doch Vaas unterbrach den Gnom mit einer wütenden Handbewegung:

“Jaja! Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber jetzt ist nicht die Zeit für eure ständigen Nörgeleien.  Bringt diese Wesen unverzüglich in die Festung.“ Vaas zeigte auf die drei im Dreck liegenden Gestalten. „Ich schicke sofort Hilfe.“ Volund blickte sich um, doch als er antworten wollte, war Vaas bereits verschwunden.

„Magier…!“ stieß Volund kopfschüttelnd hervor und begann mit seiner Arbeit….

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