Die Farben der Welt Kapitel 6

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Erik ließ sich seufzend in die schwere Holzwanne sinken und schloss die Augen:

„Aaah…“ stöhnte er fast schon leidenschaftlich, während der heiße Wasserdampf den schmalen Raum erfüllte.

Die Angestellte des Badehauses begann nun, die letzten Eimer in die zweite Wanne zu füllen. Sie war nun fast bereit. Sie schöpfte dabei aus einem großen Kupferkessel, der in der Ecke des Raumes über einer geschlossenen Feuerstelle erhitzt wurde.

Anders begann, sich aus den dreckigen Kleidern zu schälen und ließ sie achtlos vor sich auf einen Haufen fallen. Er betrachtete dabei verstohlen den Hintern der jungen Dame, die mit dem Rücken zu ihm über seine Wanne gebeugt war. Das dünne schwarze Seidenkleid, welches alle Bediensteten dieses Badehauses trugen, zeigte üblicherweise nicht sonderlich viel, doch der dicke Dampf, der den mit Holz verkleideten Raum nun erfüllte, ließ es nahezu durchsichtig erscheinen. Es schmiegte sich fast schon perfekt an ihre Rundungen. Niemand hätte Anders weißmachen können, dass das keine Absicht war.

„Es wird zunehmend unsicher in den letzten Wochen, das sag‘ ich dir.“ Eriks Stimme hallte zu ihm herüber und war klar zu vernehmen, doch Anders war abgelenkt.

„Mhm…“ antwortete er, während die Frau den Eimer zur Seite stellte und ihm mit einem lasziven Lächeln auf den Lippen bedeutete, in die Wanne zu steigen. Sie war professionell und musterte ihn nicht neugierig, so wie die Dirnen es in Osthafen taten, um ihrer Kundschaft zu schmeicheln. Ihr Blick blieb auf Kopfhöhe und ihr Lächeln wirkte aufrichtig. Anders hätte eigentlich nichts dagegen gehabt, wenn sie einen Blick riskiert hätte. Er zwinkerte ihr zu und ließ sich dann in seiner Wanne nieder, die etwa zwei Fuß neben Eriks stand. Er konnte dabei nicht verhindern, dass sein Blick für einen kurzen Augenblick etwas tiefer rutschte. Die schwarzhaarige Frau ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern machte sich nun daran, hinter ihnen die Feuerstelle zu löschen. Der Dampf stand inzwischen in dichten Schwaden unter der niedrigen Decke. In dem kühlen Raum breitete sich eine angenehme Wärme aus.

„Sie setzen verstärkt den Karawanen aus dem Westen zu. Die Gilde hat eine Warnung ausgesprochen. Ich bin so froh, dass mein Geschäftsbereich im Norden liegt… Das kann ich dir sagen.“ Während die Schönheit den Raum durch die Tür vor ihnen verließ entfuhr Anders ein leises:

„Verdammt…“

„In der Tat…“ ging Erik darauf ein. Die Tür schloss sich krachend und Anders fuhr entgeistert zu Erik herum:

„Was?“ entfuhr es ihm verwirrt. Erik öffnete nun die Augen. Über dem Wannenrand war nur sein Kopf zu erkennen, doch das war ja im Grunde genommen nichts Schlechtes. Ein breites Grinsen machte sich auf seinem faltigen Gesicht breit, während er tadelnd den Kopf schüttelte.

„Anders… Hast du mir überhaupt zugehört?“

„Wie kannst du da nicht hinsehen?“ entgegnete Anders und wandte sich wieder nach vorne, um dem amüsierten Blick des Halblings zu entgehen.

„Ach.“ Erwiderte der Händler knapp. Anders musste lachen und Erik fiel mit ein. Einige Sekunden der Stille entstanden, bis Anders versuchte, das Gespräch wiederaufzunehmen.

„Was hast du gesagt?“ Er lehnte sich zurück und genoss das angenehme Brennen des hießen Wassers auf seinen zahlreichen Schürfwunden.

„Ich sagte, die Situation da draußen eskaliert.“ brummte der Händler.

„Das sagten sie auch schon vor zwei Jahren – und vor fünf.“ Wiegelte Anders ab. Er war nicht der Meinung, dass sich irgendetwas wesentlich verändert hatte. Die Nachrichten, die die Stadt erreichten, waren seit Jahren dieselben. Die Plünderungen und Angriffe häuften sich und schlussendlich würden nicht einmal mehr die hohen Mauern die Bürger in Aith Hazar beschützen können. Es verbreitete Angst in der breiten Bevölkerung, doch wer wie Anders schon oft mit den Plünderern gekämpft hatte, wusste, dass die gewaltigen Außenmauern der Stadt jeglichen Anstürmen standhalten würden.

„Dieses Mal ist es ernster.“ Die Stimme des Halblings klang belegt, als würde er von etwas Unheilvollem berichten, welches ihm Unbehagen bereitete. Es war nicht das übliche, lockere Geschwätz unter Freunden, mit dem man sich im Badehaus unterhielt. „Es werden Händler getötet. Zwar im Rabenforst und den umliegenden Hügeln aber wer sagt mir, dass die Felder sicher sind? Wer kann mir garantieren, dass ICH sicher bin, wenn ich tagtäglich aus der Stadt fahre?“ Anders überlegte, doch ihm fiel keine Möglichkeit ein, dem Händler zu helfen. Er konnte ihn nicht beschützen… Natürlich konnte er die Eskorte für ihn spielen, doch was würde das nützen… Wenn es zu einem Angriff kommen würde, war jeder auf sich allein gestellt.

„Ich könnte mit dir rausfahren…“ schlug er dennoch vor.

„Ach, mach dir nichts vor, Anders. Das macht keinen Unterschied. Sollten sie tatsächlich die Felder angreifen, dann kriegen sie mich auch so.“

„Ja…“ gab Anders zögerlich zu. „Aber denkst du wirklich, dass es so schlimm ist? Die Gilde übertreibt doch schon seit Jahren – das waren deine Worte!“

„Ich weiß ja, ich weiß ja… Ich hielt sie alle für Waschlappen – und das waren sie ja auch. Aber seit einigen Wochen ist es nicht nur noch Gerede. Es breitet sich Angst aus. Auf der letzten Versammlung schwebte eine Panik in allen Worten mit – es war ein unheilvolles Treffen.“

„Was gedenkst du zu tun?“ Anders hob den Kopf und fuhr gespannt zu seinem Freund herum, der nachdenklich an die Decke starrte.

„Ich weiß nicht. Ich habe schon überlegt, nichtmehr rauszufahren…“

„Weiß Tibetta davon?“ hakte Anders nach. Erik schüttelte so heftig den Kopf, dass Wasser an allen Seiten überschwappte.

„Nein!“ stellte er klar. „Sie darf nichts davon erfahren. Sie macht sich schon so genug Sorgen. Ich…“ Er suchte nach den richtigen Worten. „Ich möchte ihr das Leben schenken, welches sie immer wollte… Verstehst du?“ Er verstand. Es war derselbe Umstand, der ihn angetrieben hatte, tagtäglich noch härter auf der Farm zu arbeiten. Es war Ellas Lächeln, wenn Ren zufrieden und satt in seinem Bett schlief oder sie ihm neues Schuhwerk aus der Stadt kaufen konnten. Es war Ella immer heilig gewesen, Ren so zu versorgen, wie sie es früher nie hatte. Dieser Wunsch stand für sie über allem und Anders tat seinen Teil dazu, diesen Wunsch zu erfüllen.

Für Tibetta war der Wunsch der nach einem friedlichen Leben in Midstadt voller Wohlstand. Sie hätte am liebsten einen Kaufmann geheiratet, der ein Geschäft in der Stadt besaß, doch Erik hatte sie so lange umworben, bis sie schließlich nachgegeben hatte. Er war oft weg von zu Hause, doch er arbeitete hart – und dies alles nur für seine Frau und seinen Sohn. Im Grunde genommen waren sie beide sich schon immer ähnlich gewesen – wenn schon nicht in ihrem Volk und dem Alter, dann doch im Geiste.

Anders nickte versonnen und antwortete wehmütig:

„Ja, ich verstehe…“ Eine lange Pause des Schweigens war entstanden, doch die Antwort schien immer noch passend zu sein. „Etwas Anderes…“ wechselte er das Thema. „Ich muss gestehen, dass ich euch nicht vollkommen uneigennützig besucht habe…“

„Wir freuen uns immer, wenn du vorbeikommst.“ warf Erik ein, doch Anders fuhr unbeirrt fort:

„aber… ich brauche Hilfe bei einem schwierigen Fall.“

„DU hast einen schwierigen Fall übernommen? Was war der Anlass?“ hakte Erik stirnrunzelnd nach.

„Fjorskar.“ Gab Anders zurück. Er fand, das sagte mehr als tausend Worte. Erik kannte seinen Arbeitsalltag ebenso, wie er den des Händlers kannte und so war in vergangenen Gesprächen hier im Badehaus natürlich bei mehreren Gelegenheiten die Sprache auf den Midstädter Vorsitzenden der Yllindroen Talar gefallen.

„Ah.“ Gab Erik zurück und nickte. „Verstehe. Was willst du wissen?“

„Ich brauche jemanden, der sich mit Handel hier in Midstadt auskennt… Wenn du verstehst, was ich meine.“

„Handel, soso.“ Wiederholte Erik nachdenklich und strich sich über das bartlose Kinn. Er lächelte verstohlen, während sein Blick über die knapp über ihnen liegende Decke schweifte. „Ich denke, ich weiß da jemanden.“ Anders triumphierte innerlich. Er hatte gewusst, dass er sich auf seinen Freund verlassen konnte.

„Ein Mitglied eurer Gilde?“ hakte er interessiert nach.

„Gott bewahre!“ stieß Erik jedoch hervor. „Nein… natürlich nicht. Wir dulden solche Leute nicht.“

„Ich frag‘ ja nur…“ verteidigte sich Anders. „Aber du kennst ihn.“

„Man ist informiert.“ Anders nickte.

„Soso. Aber ich hoffe, es ist keiner deiner Freunde.“ Er hob eine Braue.

„Nein. Ich kenne nur seinen Aufenthaltsort. Ich weiß noch nicht einmal, wie er heißt. Wieso fragst du?“ Erik sah ihn verwundert an, doch als Anders mit den Achseln zuckte, schien er zu verstehen.

„Ah…“ stieß er hervor und seine Augen weiteten sich ein wenig. „Dir schwebt eine handfestere Befragung vor?“

„Ich habe nicht vor, ihm mein Geld in den Rachen zu werfen. Und sonderlich gesprächig sind solche Typen üblicherweise nicht.“ Gab Anders zurück.

„Das sind sie in der Tat nicht…“ murmelte Erik versonnen und schien über etwas nachzudenken. Anders hob die Stimme, um die Aufmerksamkeit des Halblings wiederzuerlangen.

„Also. Wo finde ich diesen ‚Händler‘?“

„Drüben im Osten von Midstadt.“ Er runzelte die Stirn und überlegte angestrengt. „Vorgasse, meine ich… ja.“ Er nickte bekräftigend. „Das war es. Dort gibt es ein Haus, welches am Tag eher unscheinbar wirkt. Doch man sagt, die Lichter erlöschen des Nachts nicht.“ Anders nickte dankbar.

„Das ist doch eine Spur. Ich danke dir, Erik.“

„Aber sei vorsichtig, ja?“

„Sicher…“ murmelte Anders leicht genervt und schloss dann wieder die Augen. Sie genossen noch einige Minuten das heiße Wasser, bevor sie sich vor dem Badehaus trennten, sich herzlich umarmten und dann beide ihrer Wege gingen.

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