Die Farben der Welt Kapitel 7

7

 

Nun kauerte er hier schon drei verdammte Stunden auf dem Dach und hatte nichts vorzuweisen. Anders fluchte leise, während die Lichter unter ihm Schatten auf die gedrungenen Schläger warfen, die den Eingang bewachten.

Sie machten nie Pause.

Bereits kurz nach Sonnenuntergang waren die Lichter angegangen, so, wie Erik es vorausgesagt hatte und die beiden Männer waren auf die Straße getreten. Seitdem hatte sich nichts mehr getan. Es war eine stille Gasse. Ab und an trat eine vermummte Gestalt an die Wachmänner heran. Dann näherten sie sich den beiden Männern, steckten ihnen irgendetwas – eine Münze? Ein Erkennungszeichen? – zu und verschwanden dann im Haus. Meistens blieben die Besucher so um die zehn Minuten, bevor sich die Tür erneut öffnete und sie, meist mit einem Paket unter dem Arm davoneilten. Sofern ein Passant an dem Haus vorbeikam, eilte er an den Wachen vorbei, die jeden, der sich näherte argwöhnisch musterten. Anders hatten sie noch nicht bemerkt. Er war in der Parallel liegenden Gasse von hinten auf ein zweistöckiges Haus geklettert und hatte es sich, so gut es ging, zwischen zwei steil aufsteigenden Schindeldächern bequem gemacht. Der Plan war, sich zuerst ein Bild von der Lage zu machen und dann… Ja, was dann? Eigentlich gab es noch gar keinen Plan. Anders begann üblicherweise irgendwo und dann ergaben sich die Dinge – meistens, zumindest. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wer sich dort in dem Haus befand, ob es gefährlich war, wie viele bewaffnete Männer in der Nähe waren und ob jemand im Inneren überhaupt über die Informationen verfügte, die er brauchte. Es war ein Schuss ins Blaue.

Anders positionierte sich neu, um zu verhindern, dass sein rechtes Bein einschlafen würde und lehnte sich erneut dicht an die Dachschräge. Es war zwar viel zu dunkel hier oben, um ihn irgendwie zu erkennen, doch ein geübter Wächter konnte leicht seine Silhouette vor den sich regelmäßig aufbauenden Spitzdächern ausmachen, wenn er aufrecht säße. Er würde das auf keinen Fall leichtfertig riskieren, nur damit er es etwas bequemer hatte.

Die beiden Wachleute begannen erneut ein Gespräch, doch nur Fetzen wurden zu ihm herübergetragen. Es war nichts Verwertbares. Der kleinere der Beiden hieß Timbar, der Andere war noch nicht beim Namen genannt worden. Sie unterhielten sich wie schon so oft in den letzten Stunden über ihre Fraueneroberungen und haarsträubende Erlebnisse, die sie in Gasthäusern erlebt hatten. Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten, mit denen diese beiden Dumpfbacken hier prahlten, wahr gewesen wäre, hätte ein Barde ein Vermögen bezahlt, um ein Lied über ihre Taten schreiben zu dürfen. Anders musste an sich halten, nicht laut loszulachen. Anders lehnte sich zurück, und stellte sich auf weitere qualvolle Stunden der Observation ein. Hoffentlich fiel ihm bald etwas ein.

Plötzlich stutzte Anders und sah hektisch um sich. Irgendetwas in diesem monotonen Gefüge des Straßenbildes war anders. Etwas hatte sich verändert. Er musterte die langen Schatten der schmalen Gässchen zwischen den Häusern. Nichts. Die leicht gebogene Straße, welche westlich nach wenigen Minuten zum Markt führen würde. Nichts. Die beiden Wachen. Sie schwatzten immer noch belangloses Zeug.

Anders blinzelte und schüttelte müde den Kopf. Was war nur mit ihm los. So unkonzentriert war er sonst doch nie.

Da war es erneut! Dieses Mal war Anders wachsam. Sein Kopf zuckte pfeilschnell zu dem Haus über den Wächtern und fing das ein, was ihn vor einem Moment so irritiert hatte. Das Licht in einem Fenster des zweiten Stockes ging kurz aus und dann wieder an. Es nahm nur den Platz eines einzelnen Wimpernschlages ein und doch war es zu lang für ein einfaches Flackern einer Kerze. Anders runzelte die Stirn. Das war nun schon das zweite Mal. Das sollte er im Auge behalten. Plötzlich begann die Fackel, die neben den Wachen in eine Eisenfassung nahe der Tür eingelassen war zu flackern. Es sah aus, als wäre die offene Flamme Spielball eines plötzlich aufgekommenen Windstoßes, doch weder verspürte Anders hier oben den kleinsten Hauch von Wind, noch bewegten sich die Mäntel der Wachmänner.

Die beiden hatten es nun ebenfalls bemerkt. Der namens Timbar fuhr erschrocken herum, während der Große einen leisen Schrei ausstieß. Seine Stimme war klar und fein. Der Schrei war kaum mehr, als ein erschrockenes Hauchen, doch es hallte in der Resonanz der hohen Wohnhäuser gespenstisch durch die Gassen. Die beiden begannen hektisch zu murmeln. Es war zu leise, als dass Anders irgendetwas hätte verstehen können. Er fluchte erneut. Warum mussten sie verdammt nochmal gerade jetzt tuscheln! Er beugte sich leicht nach vorne, doch es war eine Geste, die von vorn herein nicht sehr gewinnversprechend gewesen war. Er konnte kein einziges Wort verstehen.

Das Flackern der Flamme wurde nun intensiver und erneut erlosch das Licht in dem Haus – nun sowohl in dem besagten Zimmer, als auch in einem Raum im ersten Stock. Genauso schnell, wie vor einigen Sekunden war das Licht wieder an und alles wieder beim Alten. Anders schüttelte den Kopf.

Was war hier los?

Erneut erlosch das Licht, dieses Mal in dem benachbarten Raum des ersten Stockes. Alle Lichter begannen nun mit jeder Sekunde wilder zu flackern – Dann, plötzlich, erloschen sie allesamt.

Anders hielt den Atem an. Vollkommene Schwärze erfüllte nun die gesamte Gasse, welche noch Augenblicke zuvor allein durch den schwachen Schein eben dieses Hauses erleuchtet worden war. Schritte hallten durch die Gasse und echoten hundertfach um ihn herum. Anders fuhr hektisch herum, doch er konnte nicht ausmachen, woher sie kamen. Die Wachleute waren verstummt. Die Schritte schienen in diesem Moment das einzig Wichtige zu sein – es war, als würden sie allen anderen Geräuschen ihre Existenz absprechen. Anders folgte ihnen. Er konnte nichts sehen, nichts riechen. Er war allein auf sein Gehör angewiesen. Die Schritte waren nicht leicht, doch auch nicht zu schwer – Ein Halbling, oder ein schlanker Zwerg vielleicht. Es waren beschlagene Stiefel. Das charakteristische Klacken der feinen Nägel verriet einen Träger der oberen Schichten – kein Landstreicher konnte sich solches Schuhwerk leisten. Die Schritte waren langsam, ja fast gemächlich. Der Unbekannte schien sich Zeit zu nehmen. Es war, als würde er mit der kontrollierten Regelmäßigkeit, in welcher seine Stiefel aufsetzten eine Aura von Ruhe vor sich hertragen. Nein – Es war mehr als das. Sie trugen Würde mit sich. Sie forderten Respekt.

Anders blinzelte unkontrolliert. Es war ein beklemmendes Gefühl, nichts zu sehen. Die Machtlosigkeit stieg in ihm auf und begann, an ihm zu nagen. Es war diese Beklemmung, welche schlussendlich innerhalb eines einzigen Augenblicks in Angst umschlagen konnte. Dieses Gefühl hatte er schon hundertmal erlebt. Es war für ihn zum Alltag geworden. Doch noch nie hatte er in seiner Machtlosigkeit so viel ‚erkannt‘. Ihm war, als würde er den Unbekannten genau vor sich sehen – nicht ein Bild oder die Kleidung, die er trug, sondern seine Art. Und eben diese Art gefiel ihm ganz und gar nicht.

Ein blauer Schleier legte sich vor seine Augen, doch nach einem hastigen Blinzeln war er fort. Anders war sich nicht sicher, ob er sich alles nur einbildete. Es war wie ein Traum. Der Unbekannte erreichte nun das Haus. Die Tür schwang auf, doch das vertraute Knarren wirkte gedämpft.

Im nächsten Moment war es vorüber. Das Gefühl, welches an ihm gehaftet hatte, fiel von ihm ab und die Lichter bauten sich flackernd wieder auf. Die Wachleute blinzelten und schüttelten den Kopf. Sie schwankten leicht, wie eine Fahne im Wind. Anders runzelte die Stirn. Sie steckten verschwörerisch die Köpfe zusammen, doch Anders konnte erneut kein einziges Wort verstehen.

Irgendetwas mysteriöses ging hier vor sich… Irgendetwas dunkles. Anders schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf seine Observation. Es war unwahrscheinlich, dass dieser Unbekannte etwas mit seiner Aufgabe zu tun hatte. Dennoch war sein Interesse geweckt. Er wartete und wartete, immer mit einem Auge wachsam den Lichtern folgend, doch alles blieb normal. Eine weitere Stunde verging – vielleicht waren es aber auch zwei? – ohne, dass etwas passierte. Er fluchte leise. Was für ein erfolgloser Abend.

Schließlich näherte sich erneut ein verhüllter Mann und betrat das Haus. Anders wandte sich ab und widmete sich dem Massieren seiner schmerzenden Glieder, doch als der Mann einige Minuten später das Haus verließ, zog etwas seine Aufmerksamkeit auf sich.

Der Besucher verharrte bei den Wachen. Er öffnete sein Paket und verkaufte ihnen irgendetwas. Anders lauschte gespannt:

„Neun Heller für dich und dreizehn für das große Päckchen…“ sagte der Unbekannte. Anders lauschte den Fetzen der Unterhaltung und versuchte sich einen Reim darauf zu machen.

„Raucht nicht zu viel auf einmal…“ der Rest des Satzes wurde durch Gemurmel seines Gegenübers verschluckt.

„…mehr wollt, dann im Gasthaus zum…“

Der Fremde wandte sich ab. Anders reagierte. Er versicherte sich, dass die Wachen unter ihm beschäftigt waren, sprang dann auf und begann seinen Abstieg auf der Rückseite. Nun hieß es schnell sein. Er landete federnd auf dem Boden, wo schon sein Kurzschwert auf ihn wartete. Für Aufträge in der Stadt war das Langschwert viel zu sperrig. Falls man in Häusern und engen Räumen kämpfen musste, war das Kurzschwert oder der Dolch um einiges effektiver.

Er schnappte sich seine Ausrüstung – ein kleiner Rucksack, welcher eng bepackt war, um wenig Lärm zu verursachen und seine Waffen – und sprintete los. Nun hieß es schnell sein! Er musste wieder an der Straße sein, bevor der Fremde verschwunden war. Er konnte dem offensichtlich zwielichtigen Händler bis zu diesem Gasthaus folgen und würde sich sparen, dieses Haus zu stürmen. Wenn er auch schon vorher keine große Lust auf diese Selbstmordmission gehabt hatte, dann erst recht, nachdem der seltsame schwarze Mann das Haus betreten hatte. Wie auch immer… Er musste auf anderem Wege zum Ziel kommen.

Er hastete durch die schmale Gasse, die die beiden Straßen verband und zwängte sich schnaufend durch die engsten Stellen, die kaum breiter waren, als er selbst. Vor der Kante drang ihm schon der schwache Schein der Fackel entgegen. Hier, einige Häuser weiter unten, war er jedoch kaum noch zu erkennen. Er streckte den Kopf aus dem schmalen Spalt zwischen den Häusern und fluchte.

Zu seiner Linken rannte der verhüllte Händler, als wäre ein Dämon hinter ihm her. Er war schon fast außer Sichtweite, während er das verschnürte Paket fest mit beiden Armen umklammerte. Die beiden Wachleute zu seiner rechten kamen mit gezückten Schwertern direkt auf ihn zugelaufen. Er zog sein Schwert und trat auf die Straße hinaus. Hier in der engen Gasse konnte er nicht kämpfen.

Die beiden Wachleute erkannten, dass er nicht floh und verlangsamten ihr Tempo. Nun erkannte er sie genauer. Beide hatten wie er auch olivgrüne Reisemäntel an, die in ähnlich schäbigen Zustand wie der seine waren. Ihre Kapuzen waren durch den Sprint nach hinten gefallen und offenbarten zwei Gesichter. In der Dunkelheit konnte er keine Einzelheiten erkennen, doch Timbar hatte eine Glatze und ein dickliches Gesicht, während die Gesichtszüge des Größeren schmäler waren.

Sie hatten ihn fast erreicht. Anders ging leicht in die Hocke und hob das Kurzschwert.

Timbar griff als Erster an. Er sprang nach Vorne und begleitete seinen Hieb mit den Worten:

„Das hast du davon, ungefragt zu lauschen!“ Anders stellte sein Schwert gegen das seines Angreifers und die Klingen trafen klirrend aufeinander. Die Muskeln seines rechten Arms erzitterten, während Timbar mit der gesamten Kraft, die er in den Hieb gesteckt hatte, zurückgeworfen wurde.

Der Größere wartete nicht. Noch während Anders mit dem ersten Hieb kämpfte, positionierte er sich neben seinem Gefährten und holte zum Seitwärtshieb aus. Anders hatte keine Wahl. Er musste sich wenig elegant zur Seite fallen lassen, sonst wäre er quer aufgeschlitzt worden. Er rollte sich zur Seite ab, während seine beiden Gegner triumphierend grölten. Anders lag nun auf dem Rücken und der Größere sprang über ihn. Er wollte sein Schwert verteidigend nach oben ziehen, doch Timbar sprang darauf und nagelte die Klinge mit seinem Stiefel auf dem Boden fest. Anders blickte in die blitzenden Augen des Größeren. Vor dem Nachthimmel zeichneten sich zwei lange, spitze Ohren ab. Es war ein Elf. Er hob das Schwert zum tödlichen Hieb. Anders ließ kurzerhand seine Waffe los, zog mit der linken seinen Dolch aus dem Gürtel und schnellte nach oben. Die Augen des Elfen weiteten sich, doch er war zu spät. Die handbreite Klinge grub sich tief in den linken Oberschenkel des Elfen. Er jaulte schmerzerfüllt und sein Schwert fiel zu Boden. Anders kroch zur Seite, nahm sich die neue Waffe und sprang auf.

Nun begann es erneut. Timbar stand breitbeinig vor seinem Gefährten, der vor Schmerzen schrie und den Knauf des Dolches, welcher sich tief in sein Fleisch gebohrt hatte mit beiden Händen hielt. Ihm gegenüber war Anders, das Schwert des Elfen in Händen. Während ihn die Blicke seines Gegenübers verfluchten, verschwendete Anders keine Zeit mit Emotionen. Er war zwar nicht elegant und geschickt wie ein Schwertmeister, doch er hatte Erfahrung im Kampf – offensichtlich mehr, als der Elf oder sein nächster Gegner. Er holte zum Hieb aus. Timbar schien nun nichtmehr so selbstsicher zu sein, wie zuvor. Er tat einen Schritt zurück und hob die Klinge verteidigend.

In dem Moment, in dem Anders nach vorne springen wollte, schwang etwa fünfzig Schritt hinter Timbar die Tür des Hauses krachend auf. Anders wartete nicht darauf, wer herauskam. Er machte auf dem Absatz kehrt und sprintete, so schnell ihn seine Beine trugen. Das letzte was er hörte war das derbe Fluchen von Timbar, untermalt von dem schmerzerfüllten Stöhnen des Elfen und zahlreiche Stiefelpaare, welche wie ein Regiment Soldaten hinter ihm her trappelten. Er war jedoch schneller. Ohne sich umzusehen schlug er Haken und hastete durch dunkle Straßen, bis er schlitternd an der südlichen Salzstraße zum Stehen kam. Er atmete auf, ließ sein neues Schwert in die Scheide fahren und tauchte in der Menge unter. Die ersten Menschen beäugten ihn noch argwöhnisch, doch schon einige Schritt weiter nahm niemand mehr Notiz von dem schwer keuchenden Reisenden, der sich mit der Masse die Straße hinab bewegte.

>weiter zu Teil 2 – Schwarz und Weiß

Eine Autoren Website